Freitag, 31. Oktober 2008

Zehn Jahre Internet - ein Resümee (Teil 1)

In diesem Jahr "feiere" ich ein kleines Jubiläum: Zehn Jahre Internet. Grund genug, mal eine persönliche Bilanz zu ziehen und die vergangenen Jahre aus meiner Sicht zu beschreiben.

Es dürfte wohl so 1995 gewesen sein, als Internet langsam für die Medien interessant wurde. Im privaten Umfeld war das lange kein Thema, es gab schlichtweg niemanden, der irgendwelche Erfahrungen in dem Bereich hatte. Ich selbst werkelte damals in der Abschlussklasse der Realschule an meiner mittleren Reife herum. Dort gab es auch eine Schülerzeitung, in deren Redaktion ich eifrig mitwirkte. Was sollte man auch sonst groß in seiner Freizeit tun? Internet gab es ja keins. :-) Als die Redaktion über gestalterische Lösungen der Zeitung diskutierte, meinte eine Schülerin, es gäbe ja jetzt auch "Internet" - und da könne man doch mal nach kleinen Bildchen (heute besser bekannt als ClipArts) Ausschau halten, welche dann die freien Stellen der Zeitung zieren könnten. Weder die restlichen Redaktionsmitglieder noch die betreuende Lehrerin konnte etwas mit dem Begriff "Internet" anfangen. Es war ein Wort, was man irgendwie mal gehört hatte, aber nichts mit verknüpfen konnten. Eine ähnliche Erfahrung mache ich heute noch immer, wenn ich mein Auto zur Reparatur in der Werkstatt habe und der Meister mir dann erzählt, was nun erneuert werden müsse. Ich kann heute nicht mehr nachvollziehen, ob besagte Schülerin tatsächlich brauchbare Bildchen gefunden und in die Zeitung gesetzt hatte - vielleicht frage ich sie mal bei Gelegenheit. Das Internet wurde ab diesem Zeitpunkt aber für mich immer omnipräsenter.

Etwa um 1997 herum gab es in unserer Kreisstadt ein erstes Internetcafé. Als mal irgendwann eine schulische Leistung über schriftliche Hausarbeiten mit frei wählbaren Themen einzubringen war, witterte ich meine Chance und begab mich in ebendieses Café. Das Café hatte vielleicht grob geschätzt sechs Computer, die von den Gästen genutzt werden konnten. Alle Rechner gingen über eine einzige ISDN-Leitung ins Netz. Zum Vergleich: Wenn jeder angeschlossene PC gleichzeitig ein durchschnittliches Lied im MP3-Format mit 5MB downloaden wollte, hätte er dazu rund 65 Minuten gebraucht.

Ohne überhaupt jemals gesurft zu sein, zeigte mir der Inhaber die ersten Schritte: "Wenn du was suchen willst, gib www.yahoo.com ein". Yahoo war damals so ziemlich die einzige, wirklich brauchbare Suchmaschine, Google gab es noch nicht. Er knöpfte mir für eine halbe Stunde Surfzeit 10,- DM ab - eine Summe, die heute vermutlich kein Mensch mehr freiwillig zahlen würde: 10,- DM sind zwar umgerechnet 5,11 Euro, haben sich aber so "angefühlt", wie es heute 10,- Euro tun. Die relevanten Ausarbeitungen zu den Hausarbeiten habe ich gefunden und auf eine dort gekaufte Diskette abgespeichert. Letztendlich hat dieser Aufwand zu einer guten Note geführt. Aber ich war begeistert: Was man mit so einem PC nicht alles anstellen konnte. Vorher kannte ich immer nur PCs ohne Internetverbindung. Da war man zwangsweise auf das Installieren neuer Software angewiesen, wenn man dort mal was halbwegs neues erleben wollte. Aber dieses Internet war eine wirklich interessante Sache, wenn auch privat noch kein Thema.

Ein Onkel eines Bekannten (Henry Weber) von mir hatte damals die seltsame Idee, sich als Internetdienstanbieter (Provider) selbstständig zu machen. Heute kennt man fast nur noch die großen Anbieter wie T-Online, Arcor, Freenet, AOL und wie sie alle heißen. Auch zur damaligen Zeit war ein solches Vorhaben ziemlich gewöhnungsbedürftig, schließlich vermutet ja kein Mensch hinter einem Kleinstgewerbe zweier Eheleute einen Internetdienstanbieter. Bei einer Geburtstagsfeier seines Neffen erzählte er mit großer Begeisterung sein Vorhaben. Ich habe das Gespräch nur beiläufig mitbekommen und mich auch nicht weiter darum gekümmert. Als dann jedoch in der lokalen Presse ein kleiner Bericht über die neu gegründete Firma zu lesen war, wurde das Internet immer greifbarer. Auch haben in der Schule schon ein paar Lehrer vom Internet geschwärmt. Trotzdem hat es aber noch ein gutes Jahr gedauert, bis ich mal selbst von zuhause aus online gehen konnte.

Man tut sich als informationstechnikbegeisterter Schüler ohne Einkommen nicht wirklich leicht bei dem Vorhaben, seinem offiziellen Sponsor (vielerorts auch "Vater" genannt) zu erklären, wieso man plötzlich Internet haben muss. Nur die wirklich wichtigen Leute und die allerwenigsten meiner Bekannten (davon hauptsächlich Freaks) waren mit diesem Glück beschert, von daher konnte ich kaum Vergleichswerte nennen und auch auf niemanden direkt verweisen, der relevante Erfahrungen preisgeben konnte. Das Argument, die schulischen Leistungen mit dem Internet anzukurbeln, war aber dann das Killerkriterium. Schließlich konnte ja keiner verantworten, jedesmal zum Nachschlagen von Referatsthemen in ein Internetcafé zu fahren, was 5km weit entfernt ist und sich dank der untragbaren Preise absolut tödlich auf das Taschengeldkonto auswirkt. Tatsächlich war das aber auch für mich einer der Hauptgründe, weshalb ich einen eigenen Internetanschluss haben wollte.

Juli 1998. Ich glaube, es waren schon Ferien. Irgendwie hab ich die Kröten für ein Modem zusammengekratzt und dann in einer Nacht- und Nebelaktion gekauft. Ich hab das Ding heute noch irgendwo herumstehen, es sollte sogar noch funktionieren. Das Modem lief mit 56kb/s, also nahe an der ISDN-Geschwindigkeit. USB war damals noch nicht so verbreitet wie heute, also wurde das Modem über die serielle Schnittstelle mit dem PC verbunden. Anders als beim heutigen DSL konnte man das Modem direkt an die Telefonbuchse stecken. Aber wie nur kriegt man das Ding jetzt so zum Laufen, dass man tatsächlich "drin" ist? Mein Vater hatte die rettende Idee: "Ruf doch mal den Henry an." Und tatsächlich, jener Henry saß am gleichen Tag noch im Wohnzimmer meiner Eltern und verhalf meinem PC zu seinem nötigen Glück. Den PC dort aufzubauen, war aufgrund des analogen Telefonanschlusses notwendiges Übel - ich selbst hatte keinen Anschluss in meinem Zimmer. Nach der obligatorischen Einwählmusik des Modems und ein paar abschließenden Worten, die die Kosten betrafen, verließ Henry auch wieder unser Haus - und ich war online.

Endlich im Netz, habe ich mal nach allerhand Themen Ausschau gehalten, die mich so interessiert haben. Henry hatte mir hierzu den Netscape Navigator installiert, einem Vorfahre des heutigen Mozilla Firefox. Als Suchmaschine empfahl er mir Fireball. Noch in jener Nacht hatte ich den damaligen Chat von Radio RPR1 aufgesucht und somit tatsächlich meine erste "Liveunterhaltung" geführt. Das war sehr spannend. Vorher noch habe ich die ersten eMails geschrieben und an eine Handvoll eMail-Adressen gesendet, die ich mir bereits vorsorglich gesammelt hatte. Es ist verrückt, wenn man den PC erstmalig zum Kommunizieren benutzt - vorher wurde darauf nur gespielt oder "geofficet", jetzt plötzlich kriegt man Texte von anderen realen Menschen zugeschickt. Das war echte Pionierarbeit und mein Forschungsdrang unübertroffen.

Thema Kosten. Kein Thema hatte in jener Zeit mehr Schweißtropfen auf die Stirn meines Vaters getrieben als mein neues Hobby "Internet" und die damit verbundenen Kosten. Begriffe wie Flatrate oder Monatspauschale mussten erst noch erfunden werden. Internetkosten bedeuteten: Normale Telefongebühren eines Ortsgesprächs PLUS Onlinekosten, die an den Provider abgedrückt werden mussten. Henry hatte hierzu Stundenpakete im Angebot, die man sich im voraus besorgte und dann im Stil von Prepaid absurfte. War das Guthaben aufgebraucht und man erreichte den Minusbereich, kappte Henry die Verbindung manuell und man bekam "blaue Briefe" nach hause geschickt, die freundlich an eine Aufstockung der Stunden erinnerten. Das war idealerweise nur sehr selten der Fall, weil man ja bereits im voraus wieder die Stunden aufstockte, sofern man bei Kasse war. Hierzu konnte man Henry zuhause besuchen und die Pakete live kaufen. Das wurde damals alles sehr menschlich und familiär gehandhabt. Am meisten wusste ich zu schätzen, dass man da einen persönlichen Ansprechpartner hat, der sich im Bedarfsfall um die Internetprobleme kümmerte.

Trotz aller Menschlichkeit und Freundlichkeit wirkte sich diese Kostenregelung katastrophal auf mein Taschengeld aus, daher musste ich mir etwas anderes überlegen. Irgendwie bin ich dann zum Mitbewerber Deinfo gekommen. Diese Firma hatte ein zur damaligen Zeit unübertreffliches Angebot: Man zahlte monatlich nur 40,- DM, konnte dafür aber so lange surfen, wie man wollte. Natürlich zuzüglich der Kosten für das Ortsgespräch. Es war aber trotzdem eine wesentlich billigere Sache als bei Henry. Da die Telefonkosten ab 21 Uhr am billigsten waren, verlagerte man seine Hauptinternetzeit in die Nachtstunden. Tagsüber schlafen, nachts Internet - ein Umstand, der sich bis heute bei mir kaum geändert hat. Schuld war wohl tatsächlich diese Zeit. Damals war man aber mit diesem Paradigma nicht allein, es war unter den Vielsurfern mit kleinem Geldbeutel schlichtweg normal, erst am späten Abend online zu gehen. Das Fernsehen wurde immer uninteressanter, dieses Internet war einfach das bessere Programm.

Problematisch waren nun eigentlich nur noch die Telefonkosten. Um mein Surfverhalten etwas untransparenter zu machen, zapfte ich den Telefonanschluss meiner Oma an. Hierzu kaufte ich mir ein ca. 20m langes Telefonkabel, was ich dann quer durchs Haus verlegte. Hier mal ein Teppich drüber, dort mal hinter der Kommode vorbei, an die Tür geklebt, Garderobe mitbenutzt usw.. Es funktionierte prächtig und ging trotz der offensichtlichen Zweckentfremdung des Telefonanschlusses und der damit verbundenen Kabelpipeline durchs Haus etwa ein halbes Jahr gut. Gelegentlich fragten die restlichen Familienmitglieder schon kopfschüttelnd nach, wieso das Kabelprovisorium noch immer sich wie Spinnenweben durch das Haus ziehe, aber das störte mich nicht weiter. Als dann aber irgendwann mal mir mein Vater eine Telefonrechnung über 230,- DM zeigte und mir erklärte, er könne nicht nur noch für mich arbeiten gehen, drosselte ich rapide das Surfverhalten ab.

to be continued...

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Unglaublich wie sich das entwickelt hat, dein Bericht macht es deutlich. Ich vermisse die gute alte "Einwählmusik des Modems" :-( Erinnert ein wenig an R2D2.

Anonym hat gesagt…

Du beschreibst die damalige Situation sehr gut. Was hätte ich damals für eine Flatrate gegeben. Naja, heute ist es ja ein Standard und wir können gespannt sein was da noch auf uns zukommt.